Kaum geschlafen. Die Geräusche der Maschinen des Schiffs haben mich wach gehalten – wir sind mindestens zwei Decks zu tief. Ich erkunde, wo es Frühstück gibt, und wir haben Glück und sind mit die Ersten, die sich in der Lighthouse Bar Kaffee und Toast holen. Zehn Minuten später ist die Schlange schon wesentlich länger.
Angela und Frank setzen sich zu uns, wir unterhalten uns ein bisschen, und dann dürfen sie als Erste auf unseren T-Shirts unterschreiben.
Der Frachtraum wird kurz vor der Ankunft wieder geöffnet. Wir stehen bereit zum Aufsatteln, und als endlich die Tore aufgehen, rollen wir mit der Masse Richtung Grenzkontrolle. Die Ausfahrt nehme ich tatsächlich mit meiner Helmkamera auf, schalte sie aber kurz vor den Grenzbeamten ab – man weiß ja nicht, wie die darauf reagieren könnten. Die freundliche Beamtin wirft nur kurz einen Blick auf die Pässe, dann sind wir durch und im Land des Linksverkehrs angekommen.
LinksverkehrJeder macht sich Gedanken, wie er mit dem Linksverkehr klar kommt. Und genau wie ich es in einigen Foren bereits gelesen habe, ist das kein Problem. Ich brauche ca. 10 Minuten zur Orientierung an den ständigen Kreisverkehren (Roundabouts) – Mary hinter mir ist viel nervöser als ich. |
Wir müssen tanken und suchen uns in Newcastle unsere erste britische Tankstelle. Und kommen gleich mal mit einem Typen ins Gespräch, der seinen Hund ausführt und uns sehr freundlich den Weg nach Alnwick beschreibt. In meinen Ohren klingt er „very british“ – sind schon urig, die Briten.
Wir fahren gemütlich Richtung Alnwick. Das Wetter hält, und schon kurze Zeit später freut mich besonders, dass die Planung zuhause funktioniert hat: das Navi führt uns weg von der Hauptstraße und auf kleine enge Wege, zwischen Hecken und Mauern durch. Kurz vor Alnwick sehen wir unser erstes Castle: Warkworth
Wir wollen uns nicht schon hier zu lange aufhalten, deshalb steigen wir nur kurz ab und nehmen die Umgebung in uns auf. Ein Blick zurück nach Süden zeigt eine Reihenhausidylle. Und die passt in unser Bild von England.
Es geht weiter nach Alnwick. Die Stadt ist klein, die Straßen sind sehr uneben, und das stellt mich vor die interessante Aufgabe, auf den abschüssigen gepflasterten Wegen der Innenstadt einen Parkplatz zu finden, und dann ein Lokal, in dem wir zu Mittag essen können. Schließlich parken wir am Straßenrand gegenüber eines Einkaufszentrums und eines Bus-Terminals. Wir haben Hunger und wollen nicht schon jetzt so viel Geld ausgeben – so betreten wir unseren ersten Morrison, decken uns mit dem Wichtigsten ein (kleine Wasserflaschen passen einfach besser in die Koffer) und finden keine passendere Stelle für unsere Mahlzeit als direkt vor dem Laden.
Als wir wieder losfahren wollen, unterschätze ich den Neigungswinkel meines Bikes (es steht durch die Abschüssigkeit fast senkrecht), steige schwungvoll auf und… falle zur anderen Seite um. Gelobt seien Sturzbügel und Koffer, und natürlich Mary, denn zu zweit ist das Aufrichten der Maschine kein Problem, und auch die Passanten machen den Eindruck, als würden sie nur darauf warten, zupacken zu dürfen.
Vor dem Alnwick Castle folgt dann ein erster Dämpfer. Zuerst realisieren wir, dass das Castle viel zu groß ist, als das man es in der Zeit, die wir eingeplant haben, nur annähernd besichtigen könnte. Und weil ein deutscher Rentnerbus direkt vor dem Eingang steht, bekomme ich nur ein Foto vom Turm. Das Rinnsal, das der Bus noch von sich gibt, ist hoffentlich nur Kondenswasser aus der Klimaanlage (bei 18 Grad? Na bravo).
Wir brechen auf, und auf einen Schlag wird die Landschaft einsam. Wir fragen uns immer wieder, wie man hier wohnen kann, wo die nächste Einkaufsmöglichkeit mindestens 30 Minuten oder länger entfernt ist. Nach kurzer Zeit erreichen wir den Northumberland National Park, den wir heute durchqueren werden.
Die Straßen sind eng, von Steinmauern oder Gattern eingesäumt. Es ist genug Zeit, die Fähre nach Irland geht erst morgen und wir haben eine Übernachtung in Schottland eingeplant. Unser Tempo ist dementsprechend gemächlich. Die Landschaft, die vereinzelt eingestreuten Häuser, alles ist perfekt. Wer „Der Doktor und das liebe Vieh“ gesehen hat, weiß, was ich meine, und die Yorkshire dales sind nicht so weit von hier.
Auf einem Rastplatz in den Otterburn Ranges machen wir Halt. Hier beginnt eine militärisch genutzte Zone, und trotzdem könnten wir dort hineinfahren, wenn wir die Verhaltensregeln beachteten, auf die durch die vielen Schilder hingewiesen wird: Military Firing Range. Das einzige, was wir jetzt gerne hätten, aber partour nicht finden, ist ein Café.
Der Himmel wird düsterer, und je mehr Sorgen ich mir ums Wetter mache, desto lustiger wird Mary. In Annan bricht noch einmal die Sonne kurz raus, und wir setzen uns in ein kleines Restaurant auf Fish ’n‘ Chips. Als wir eine Stunde später wieder unterwegs sind, nieselt es schon leicht, und wir haben immer noch keine Unterkunft.
Unterkünfte auf den InselnVorbuchen oder spontan? Als Motorradreisende möchten wir Tag für Tag frei entscheiden können, wohin die nächste Etappe gehen soll, Vorbuchen von zuhause aus ist also nicht drin. Ganz spontan etwas finden würde tatsächlich funktionieren, auf die Gefahr hin, dass man vor Erschöpfung das erstbeste B&B nimmt, um am nächsten Morgen festzustellen, dass gleich daneben ein günstigeres, schöneres gewesen wäre. Außerdem muss man die Suche erstmal einplanen – egal, wieviel Lust einem das bei jedem Wetter und evtl. schon einbrechender Dunkelheit bereitet. Also buchen wir doch im Voraus, allerdings so zeitnah wie möglich, sprich: am Abend des Vortags oder am Morgen desselben Tages. Dafür habe ich mein Tablet dabei, und freies WIFI ist in GB und Irland sehr verbreitet. Dann noch ein entsprechendes Buchungsportal aussuchen (inkl. App) und man geniest die größtmögliche Unabhängigkeit und den gewünschten Komfort. |
Und natürlich kommen wir jetzt an keinem B&B mehr vorbei. Mein ungefähres Etappenziel ist Crocketford, ein kleines Nest ca.100 km vom Fährhafen in Cairnryan entfernt. In Dumfries bleiben wir noch einmal kurz an einem stehen, aber auf mein Klingeln reagiert niemand, und so fahren wir durch den immer wieder einsetzenden Regen bis nach Crocketford. Viel Auswahl bleibt uns dort nicht, aber weiter wollen wir beide heute nicht mehr fahren, also steige ich ab und erkundige mich nach dem Preis des Galloway Arms Hotels. Und als ich im Kopf die 75 Pfund für ein Doppelzimmer umrechne, haut es mich fast von den Socken: 105 €, hier, aAdW? Für heute ist es gut, und als wir das Zimmer sehen, versöhnt uns das wieder ein bisschen.
Heute bleibt noch: Fähre nach Irland buchen. Also Tablet raus, buchen, und mangels Drucker die Nummer auf einen Schmierzettel schreiben.
Tagesetappe
281 km von Newcastle upon Tyne nach Crocketford
Route